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Offener Brief: Verbände der Freien Darstellenden Künste kritisieren Förderpraxis des Hessischen Ministeriums

Vier Interessensverbände der Freien Darstellenden Künste haben in einem offenen Brief und einem Forderungspapier die Förderpraxis des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur kritisiert und Veränderungsvorschläge formuliert. Mit diesem Brief reagieren laPROF Hessen e.V., ID_Frankfurt, Tanz*werk Kassel und Dance Nexus Wiesbaden auf die dauerhaft große Unzufriedenheit in der Szene mit den hessischen Förderstrukturen und ihre Umsetzung. Der Brief wurde in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe erarbeitet, unterschrieben wurde er von Amelia Uzategui Bonilla (Vorsitzende ID_Frankfurt e.V.), Regina Busch (Vorstand laPROF Hessen e.V.), Jeremy Curnier (Vorstand Dance Nexus e.V.), Velia Hahnemann (Vorstand tanz*werk Kassel).

 Wir dokumentieren den Brief hier im Wortlaut:

Betreff: Forderungspapier: Zukunft der Freien Darstellenden Künste in Hessen
Sehr geehrter Herr Minister, Sehr geehrte Damen und Herren,

als Vertreter*innen der Freien Darstellenden Künste Hessens wenden wir uns mit großer Sorge an Sie. Die gegenwärtige Förderlandschaft wird den realen Arbeitsbedingungen und Bedürfnissen unserer Szene nicht gerecht und gefährdet unsere künstlerische und wirtschaftliche Existenz. Wir möchten deshalb das Gespräch mit Ihnen suchen, um nachhaltige Lösungen für die Zukunft unserer Szene zu entwickeln, um die Förderungen besser nutzen zu können. Die Veränderungen, die wir vorschlagen, sind zunächst nicht mit Mehrausgaben verbunden, sondern helfen im Gegenteil, die vorhandene Förderung effizienter zu nutzen.

Die Freien Darstellenden Künste bilden das Rückgrat der kulturellen Vielfalt Hessens. Sie sichern
kulturelle Teilhabe besonders auch in ländlichen Räumen, fördern gesellschaftlichen Dialog und
künstlerische Innovation. Ein besonderer Schwerpunkt liegt im Kinder- und Jugendtheater, das
durch Festivals und vielfältige künstlerische Vermittlungsformate einen zentralen Beitrag zur
kulturellen Bildung in Hessen leistet. In den vergangenen Jahren hat die Freie Szene zudem
entscheidende Impulse für Teilhabe, Barrierefreiheit und Diversität gesetzt. Zahlreiche Initiativen
und Gruppen haben aktiv daran gearbeitet, Kunst und Kultur zugänglicher, inklusiver und sozial gerechter zu gestalten.

Diese Entwicklungen sind von hoher kulturpolitischer Bedeutung und dürfen nicht an fehlender
Kontinuität scheitern. Nur durch verlässliche Strukturen, langfristige Förderung und Planungssicherheit können solche Ansätze dauerhaft wirken und weiterentwickelt werden. Trotz dieses wichtigen gesellschaftlichen Beitrags sind die Förderstrukturen der Freien Theaterszene
in Hessen im Bundesvergleich nicht konkurrenzfähig und ineffizient: Verwaltungsprobleme verunmöglichen Theater- und Tanzproduktionen in der gesamten ersten Jahreshälfte und in strukturschwachen Räumen und verhindern faktisch den Fluss von Bundesmitteln nach Hessen. Diese Schwierigkeiten haben sich in den letzten drei Jahren weiter verschärft. Dies führt zu erheblichen Planungsunsicherheiten, erschwert die Zusammenarbeit mit Theatern und anderen Spielstätten und mindert die Wirksamkeit der Fördermittel erheblich. In Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Spannungen und wirtschaftlicher Unsicherheiten braucht Kulturförderung besondere Stabilität und Verlässlichkeit.

Im Folgenden finden Sie unsere Kernforderungen, die sich aus dieser Bestandsaufnahme ergeben. Gerade jetzt ist es Aufgabe der Politik, ein deutliches Signal der Unterstützung für die freie Szene zu setzen. Wir fordern daher eine zukunftsorientierte, faire und transparente Förderpolitik, die den tatsächlichen Arbeitsbedingungen in der freien Szene Rechnung trägt! Wir hoffen auf einen baldigen Gesprächsvorschlag und zielführende Kommunikation zu diesem wichtigen Thema. Dieses Schreiben wird zeitgleich veröffentlicht, um Transparenz und Beteiligung im kulturpolitischen Diskurs zu fördern. Wir freuen uns auf ein gemeinsames, konstruktives Arbeiten an Lösungen!

Mit freundlichen Grüßen und in dem Wunsch, gemeinsam an einer transparenten und
zukunftsorientierten Kulturpolitik zu arbeiten,

 

Forderungen zur Verbesserung von Zuwendungsrecht und -praxis der Freien Darstellenden Künste Hessens

1. Koordinierung von Terminen: Antragsfristen und -zusagen zwischen Kommunen, Land und Bund

Für eine stabile Förderlandschaft ist die Kombination von Fördermitteln aus Kommunen, Land und
Bund (Fonds Darstellende Künste, Fonds Soziokultur, Kulturstiftung des Bundes – Beantragung nur
bei vorliegender Kofinanzierungsbestätigung von Land und/oder Kommune möglich) nötig. Aktuell
sind hessische Künstler*innen faktisch von der Akquise von Bundesgeldern ausgeschlossen, weil die
Antragsfristen und -verfahren nicht kompatibel sind. Damit wird permanent die Beantragung von
Bundesgeldern, die nach Hessen fließen könnten, verhindert. Ganz besonders trifft dies den ländlichen Raum, da Kunstprojekte in urbanen Zentren öfter ausreichende kommunale Gelder akquirieren können, die sie für weitere Förderanträge qualifizieren.

Um dies zu verändern und für eine Gleichstellung Hessischer Künstlerinnen und Künstler mit denen
anderer Bundesländer zu sorgen, müssen die Kommunen und das Land Hessen ihre Förderzeitpläne aufeinander abstimmen. Ein beispielhafter Zeitplan findet sich im Anhang. In Zuwendungsrecht und -praxis müssen sich hierfür zwei Bedingungen ändern:

a) Anpassung der Fristen auf Landes- und kommunaler Ebene: Aktuell sieht das Land eine
Antragstellung für Projekte in der 1. Jahreshälfte zum 31.10. des Vorjahres vor. Das ist in der
Praxis für die Freien Darstellenden Künste völlig unrealistisch und bedeutet, dass der
Zuwendungsbescheid oft nach Abschluss des Projekts eingeht (bis zu 8 Monate nach
Antragstellung). Die Fristen müssen also angepasst werden (analog für die 2. Jahreshälfte mit der
Antragstellung 31.03.)

b) Gewährung von Bewilligungszeiträumen, die über das laufende Haushaltjahr hinausgehen.
Rechtlich ist dies gem. VV Nr. 4.2.5 zu §44 LHO möglich, wird in der Praxis aber nicht
angewandt. Dies sollte geändert werden.

2. Unverhältnismäßige Wartezeiten bis zur Förderentscheidung

Für Projekte mit Antragsfrist am 31.10.2024 und geplanter Umsetzung bis Ende Juni 2025 wurde die Förderzusage erst im Juni 2025 erteilt – also nach über acht Monaten Wartezeit und häufig nach der Premiere. Diese seit Jahren in unserer Arbeitspraxis unlösbare Situation führt dazu, dass die meisten Tanz- und Theateraufführungen in der zweiten Jahreshälfte spielen und die Bürger*innen Hessens für die ersten sechs Monate des Jahres in erheblichem Umfang auf Kultur verzichten müssen. Ursächlich dafür ist vor allem die späte Verabschiedung des Landeshaushalts.

Dafür gibt es eine Lösung:

A) Die Theaterabteilung des HMWK sollte die auf kommunaler Ebene gängige Praxis übernehmen, Antrags-Entscheide zunächst unter dem Vorbehalt der Bewilligung der entsprechenden Mittel im Haushalt auszustellen, in Form einer Emailbenachrichtigung.

B) Zudem sollte das Referat IV 2 dringend personell besser aufgestellt werden, um den Versand
der Bewilligungsbescheide zu beschleunigen – aktuell liegen durch Personalengpässe bis zu zwei Monate zwischen dem Versand des ersten und des letzten Bescheids aus der gleichen Förderrunde.

C) Der Kulturetat könnte vom restlichen Haushalt abgekoppelt und Ende des vorangehenden
Jahres bereits verabschiedet werden. In Sachsen-Anhalt wurde dieses Prinzip erfolgreich
umgesetzt.

3. Überjährigkeitsverbot

Derzeit stauen sich in Hessen fast alle Aufführungen der Freien Szene in den Monaten Oktober bis
Dezember. In der ersten Jahreshälfte gibt es kaum Theateraufführungen. Der Grund dafür ist das vom HMWK praktizierte Überjährigkeitsverbot: Die Theaterabteilung des HMWK gewährt keine
überjährigen Projektzeiträume – Projekte müssen bis zum 31.12. abgeschlossen sein oder dürfen erst am 01.01. beginnen. Das bedeutet gleichzeitig, dass Gelder, die erst im Oktober bewilligt werden, bis zum 31.12. ausgegeben werden müssen.

Das führt in Kombination mit den extrem langen Antwortzeiten dazu, dass Premieren in der ersten
Jahreshälfte fast unmöglich sind. Zudem entstehen unzumutbar schlechte Arbeitsbedingungen für
Theatergruppen – krankheitsbedingte Verschiebungen in der zweiten Jahreshälfte sind quasi nicht
möglich. Außerdem führt es zu einer ungleich schwereren Suche nach geeigneten Spielstätten.
Laut VV Nr. 4.2.5 zu §44 LHO ist eine Festlegung von Bewilligungszeiträumen, die über das laufende Haushaltsjahr hinausgehen, möglich. In der Praxis wird diese Möglichkeit nicht genutzt. Das Land sollte die Gesetzesspielräume ausnutzen und den Mittelabruf von Geldern im Antragsjahr bei Verausgabung im Folgejahr unbürokratisch ermöglichen.

4. Mittelbereitstellung zu verlässlichen Terminen

Aktuell sieht das Mittelabrufformular des Referats IV 2 keine Abruftermine vor. Abgerufenes Geld
taucht zu unabsehbaren Terminen auf dem Konto auf, muss dann aber innerhalb einer Zwei-Monats-Frist verausgabt werden. Das erschwert die Planung erheblich. Das Mittelauszahlungs-Verfahren sollte auf eine Abrufung zu bestimmten Terminen (z.B. 01. und 15. jeden Monats) umgestellt werden und Abrufe sollten im Voraus zu bestimmten Terminen eingereicht werden können.

5. Festbetragsfinanzierung

Um Planungssicherheit zu gewährleisten und unnötige Bürokratie zu reduzieren, sollte das HMWK
Institutionen, die einen Regelbetrieb aufrecht zu erhalten haben, die Förderung in Form von
Festbetragsfinanzierungen gewähren. In Kombination mit der Abschaffung des Überjährigkeitsverbot (vgl. Punkt 3) können diese die Mittel damit weit effizienter verausgaben und überjährige Projekte durchführen, indem sie zu Jahresende sparsamer wirtschaften und Gelder in den Januar mitnehmen.

6. Transparenz

Informationen über die Anzahl der eingegangenen Anträge, das Antragsvolumen sowie das gesamte Fördervolumen sind derzeit nicht öffentlich. Eine bessere Transparenz würde den Akteur*innen einen realistische Einschätzung ihrer Förderchancen ermöglichen und zur Planungssicherheit beitragen. Aktuell veröffentlicht das HMWK mit Berufung auf Datenschutz nicht, welche Mittel insgesamt verausgabt und an wen diese vergeben werden. Durch die Abfrage von Zustimmung oder Ablehnung der Veröffentlichung von Ergebnissen bei Antragstellung (Inklusion in der Antragsmaske) sowie die Veröffentlichung von Basisdaten ohne Personenbezug (gesamtes Fördervolumen, Antragsvolumen und -anzahl, Anzahl der geförderten Projekte) sollte Transparenz hergestellt werden.

7. Gastspielförderung für Gesamt-Hessen

Es herrscht der Eindruck vor, dass Gastspielförderung in der Regel nur für Kinder- und
Jugendtheaterproduktionen mit Gastspielen im ländlichen Raum gewährt wird. Ist dieser Eindruck
zutreffend? Dann bitten wir um eine Begründung dieser Praxis, denn das würde bedeuten, dass Stücke anderer Sparten und Auftritte in Orten >20.000 Einwohner*innen von der Förderung ausgeschlossen sind. Damit wird die Kulturlandschaft besonders in mittelgroßen Kommunen ausgetrocknet – Auftritte in beispielsweise Butzbach oder Idstein sind nicht möglich. Diese Beschränkung der Gastspielförderung sollte aufgehoben werden.

Langfristige Verbesserungen anstreben Neben diesen konkreten Änderungen auf Verwaltungsebene hat Hessen im Bundesvergleich dringenden Nachholbedarf bei der Ausdifferenzierung von Förderinstrumenten. Diese sind zentral für Nachhaltigkeit, Konkurrenzfähigkeit und Qualitätssicherung. Wir schlagen die Entwicklung folgender Fördertools vor: – Einzelproduktionsförderung – Basis- oder Mehrjahresförderung (vgl. z.B. Fördermodelle NRW und Sachsen-Anhalt) – Einstiegsförderung – Ausdifferenzierte und niedrigschwellige Gastspielförderung, Festivalförderung (explizit für Festivals der Freien Darstellenden Künste) – Durch die Einführung einer Basis- oder Mehrjahresförderung wird der Aufbau von ökonomisch und ökologisch nachhaltigen Produktionsstrukturen ermöglicht und die Effizienz der Förderung
erleichtert. Auch die Einwerbung von Bundes- und Stiftungsgeldern wird massiv erleichtert. Durch die Einführung einer Einstiegsförderung wird der hessische Nachwuchs gefördert. Dies ist besonders wichtig, weil Hessen ein bundesweites Ausbildungszentrum in den Darstellenden Künsten ist (u.a. durch JLU Gießen, HfMDK Frankfurt, HfG Offenbach, Hessische Theaterakademie), aber Nachwuchs kaum Perspektiven bietet und diesen an andere Bundesländer verliert.

Anhang: Beispielhafter Zeitplan für ein Ineinandergreifen von Antragsfristen von
Stadt/Land/Bund:

Projekte mit Beginn in der 1. Jahreshälfte und Umsetzung in der 2. Jahreshälfte

– Antragsfrist Kommune: 01.08. (mit Entscheid bis 01.10.)

– Antragsfrist Land: 01.09. (mit Entscheid bis 01.01.)

– Antragsfrist Bund: 01.02. (mit Entscheid bis 01.04.)

– Projektbeginn: 01.04. – Projektende: 31.12.

Projekte mit Beginn in der 2. Jahreshälfte und Umsetzung in der 1. Jahreshälfte d. Folgejahres

– Antragsfrist Kommune: 01.02. (mit Entscheid bis 01.04.)

– Antragsfrist Land: 01.03. (mit Entscheid bis 01.07.)

– Antragsfrist Bund: 15.09. (mit Entscheid bis 15.11.)

– Projektbeginn: 15.11. – Projektende: 30.06. (Folgejahr)

 

Bild: Theaterhaus Ensemble: La Rasa Tabu. Foto: Katrin Schander.

Autor

Jan Deck ist Geschäftsführer von laPROF und u.a. für Öffentlichkeitsarbeit zuständig