Kulturpolitik

Gemeinsame Pressemitteilung von Frankfurter Theaterallianz, ID_Frankfurt – Independent Dance and Performance und laPROF

Die Situation der Theater, Künstler*innen, Freiberufler*innen und Soloselbständigen bleibt weiterhin schwierig, zahlreiche Akteur*innen der Darstellenden Kunst sind existenziell bedroht. Theaterschaffende aus Frankfurt und ganz Hessen haben sich deshalb getroffen, um gemeinsam nach Lösungen für mögliche Verfahren zur Öffnungen der Theater zu suchen. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die Wichtigkeit der Maßnahmen, die
aufgrund der Pandemie ergriffen werden müssen, wird nicht angezweifelt. Wir erklären ausdrücklich unsere Solidarität mit vulnerablen Gruppen! Wir kritisieren aber die undifferenzierte und generelle Absage und Schließung jeglicher Kulturveranstaltung ohne angemessene Überprüfung der Situation für Zuschauer*innen und Künstler*innen. 

THEATER IM LOCKDOWN
Die Theater sind seit November 2020 wieder geschlossen. Aber während dieser Zeit ging die Arbeit in den Häusern und Gruppen weiter. Insgesamt über 300 Veranstaltungen und Einzelprojekte fanden statt, oft der Öffentlichkeit zugänglich gemacht über Online-Portale, per Streaming, Video on Demand, Zoom oder Skype. Es wurden mit den unterschiedlichsten virtuellen Formaten experimentiert und Videofilme gedreht. Aber es wurden auch Theaterinszenierungen erarbeitet und fertiggestellt, bereit für die Premiere bei der Wiedereröffnung der Theater.
Eine Umfrage, an der sich über 90 Gruppen/ Ensembles/ Häuser aus Frankfurt und Hessen beteiligt haben, ergab: 60 Produktionen sind fertig geprobt bis zur Generalprobe und warten auf die Premiere, 39 weitere Produktionen sind momentan in Proben mit (Wunsch-)Premierentermin noch in 2021. 34 Produktionen sind momentan in Proben für Online- oder Hybrid-Veranstaltungen noch in 2021, 135 Produktionen sind bereits gestreamt worden oder wurden online gestellt. Zahlreiche weitere Aktivitäten und Residenzen fanden und finden statt. Die entsprechenden Listen finden sich hier.

MODELLREGION FRANKFURT
Wir begrüßen die Initiative der Stadt Frankfurt, sich als Modellregion beim Land Hessen zu bewerben. Neben städtischen Häusern haben sich auch Theater aus der freien Szene bereit erklärt, an dem Modellversuch zur Wiedereröffnung kultureller Einrichtungen in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt Frankfurt und unter wissenschaftlicher Begleitung teilzunehmen. Vorbereitungen für den Modellversuch und insbesondere Festlegungen von Verfahren für Testungen, Einlasskontrollen und Datenerfassung sollten schnellstmöglich und unabhängig von der aktuellen Entwicklung des Pandemie-Geschehens erfolgen, so dass die Betriebsabläufe ebenso wie die Besucher*innen-Kommunikation entsprechend vorbereitet und auf diese Verfahren eingestellt werden können.

SCHAFFUNG EINER ARBEITSGRUPPE
zur Vermittlung zwischen Politik, Gesundheitsbehörde und Kulturschaffenden In diesem Zusammenhang schlagen die Theaterschaffenden die Einrichtung einer Arbeitsgruppe vor, um die Vermittlung zwischen Landes- und Kommunalpolitik, Gesundheitsbehörden, Kulturschaffenden und Kulturveranstalter*innen zu koordinieren, und somit für mehr Planungssicherheit zu sorgen. Ziel dieser Arbeitsgruppe müsste es darüber hinaus sein,
1. die Aufführungen hinsichtlich ihrer Gesundheitsgefährdung zu überprüfen und eine differenzierte Einschätzung der Präsentationsformate durch Fachleute zu gewährleisten
2. einen Katalog zu erstellen, der verschiedene Formate beschreibt und auch den Umgang, bzw. angemessene Hygienekonzepte für Publikum und Künstler*innen skizziert
3. eine Grundlage zu schaffen, auf der die Sommerprojekte (“Ins Freie”) und all die Arbeiten, die bisher nicht gezeigt werden konnten, geplant werden und an deren Richtlinien sich künftige Proben und Präsentationen orientieren können
4. eine oder mehrere temporäre Stellen für ein “Corona Koordinationsbüro” zu schaffen, das an der Schnittstelle von Theater und Gesundheitsbehörde fungiert und zwischen ihnen vermittelt.
Künstler*innen haben sehr schnell umgedacht und Aufführungsformate erfunden, die es möglich machen, trotz der Pandemie in den Genuss von Performances, Audiowalks, Spaziergängen u.v.m. zu kommen. Ihre Bemühungen sind aber vergeblich, solange es kein Verfahren gibt, die zu differenzierten Entscheidungen befähigen. Zur vereinfachten
Einschätzung für Entscheidungsträger*innen und zu Gewährleistung dieser differenzierten Wahrnehmung der vielfältigen Neuerfindungen von Künstler*innen – insbesondere von Corona-kompatiblen Aufführungsformaten – wäre die Arbeit einer solchen Arbeitsgruppe unbedingt hilfreich.


ERHÖHUNG DER FÖRDERMITTEL FÜR FREIE THEATERARBEIT
Wir fordern eine flexiblere, angepasste Förderung, die sich von den gegenwärtigen Stipendienprogrammen und coronabedingten Sonder-Fördermöglichkeiten inspirieren lässt. Es ist in Zeiten der Pandemie und den damit einhergehenden neuen Herausforderungen an Theaterschaffende ein geeigneter Zeitpunkt, die Theaterförderung weiter zu entwickeln. Trotz der Mittelerhöhung nach der letzten Kommunalwahl halten wir mittelfristig eine weitere
Erhöhung der Fördermittel für notwendig. Die Freien Darstellenden Künste in Frankfurt haben in den letzten Jahre enorme qualitative und quantitative Entwicklungsschritte gemacht, die Szene ist so vielgestaltig wie nie zuvor und hat überregionale Relevanz gewonnen, was sich unter anderem durch Einladungen bei deutschlandweiten Festivals
zeigt. Dass Frankfurt zur Ausrichtung des Festivals „Politik im freien Theater“ ausgewählt wurde, ist ebenfalls ein Ergebnis dieser Entwicklung. Immer mehr Künstler*innen, die hier vor Ort ausgebildet werden, sehen ihre Zukunft nun im Rhein-Main-Gebiet. Aber schon die seit vielen Jahren in Frankfurt und Hessen bestehenden und erfolgreich
arbeitenden Theater und Ensembles sind nach wie vor unterfinanziert. Honorare und Gehälter liegen meist weit unter den vom Bundesverband Freier Darstellender Künste geforderten Mindeststandards. Die gegenwärtige Antragslage auf die Mehrjahresförderung hat gezeigt, dass ein sehr großer Mittelbedarf besteht. Trotz der Pandemie ist die freie Szene äußerst produktiv und tätig. Wir haben dazu Zahlen zu Produktionen zusammengetragen, die während der letzten Monate erarbeitet wurden. Die starken Investitionen seitens des Bundes und des Landes sind außerdem deutliche Signale, dass Kultur einen wichtigen Stellenwert hat und dass gerade jetzt investiert werden muss. Die Stadt Frankfurt hat sich langfristig das Ziel gesetzt, auch überregional als Kulturmetropole attraktiv zu werden. Dies setzt eine starke, diverse und freie Kulturszene in der Stadt voraus. Um die insgesamt positive Entwicklung zu stabilisieren, braucht es weitere Fördermittel. Wir fordern deshalb eine bessere Ausstattung der mehrjährigen Förderung und der
unterfinanzierten Projektförderung. Zudem wünschen wir uns, dass die guten Erfahrungen mit Stipendien bei der Corona-Förderung ernst genommen werden und zusätzlich zu Einzelprojekt- und Mehrjahresförderung Stipendien für künstlerische Recherche in die Förderung aufgenommen werden. Insgesamt würde das bedeuten, dass die städtische Förderung für freies Theater mittelfristig um 800.000 Euro erhöht werden müsste.

Bild:  photochur auf Pixabay 

Autor

Jan Deck ist Politikwissenschaftler, lebt in Frankfurt/Main und arbeitet als freier Dramaturg, Regisseur und Kurator. Seit über zehn Jahren arbeitet er für den hessischen Landesverband laPROF, seine Schwerpunkte sind Lobbyarbeit, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie Veranstaltungen. Er ist Mitglied verschiedener Juries und Beiräte, kuratiert Tagungen, Festivals und Labore. Als Herausgeber und Autor beschäftigt er sich mit verschiedenen Aspekten von Kunst und Gesellschaft.