Als Ende Januar die zehn ausgewählten Produktionen für das Berliner Theatertreffen bekannt gegeben wurden, war die Überraschung groß. Tatsächlich wird in diesen Einladungen mehr als zuvor die Vielfalt der überregional und international ausgerichteten Theaterlandschaft deutlich. Neben Produktionen der öffentlichen Bühnen werden in Berlin nationale und internationale Koproduktionen wie auch Kooperationsprojekte zwischen Stadt- und Staatstheatern und den freien Darstellenden Künsten zu sehen sein.
Was sich aus den Einladungen auch ablesen lässt, ist die Bedeutung, welche die Koproduktionstätigkeit des Künstlerhaus Mousonturm für die Theater- und Tanzszene im deutschsprachigen Raum bekommen hat. An den Produktionen „Die Kränkungen der Menschheit“, „Tanz“ und „Chinchilla Arschloch, was was“ ist das Frankfurter Produktionshaus beteiligt. In der Vergangenheit waren eher altehrwürdige Theater wie das Deutsche Theater Berlin gelegentlich mit mehreren Inszenierungen beim Theatertreffen präsent. Doch schon seit mehr als einem Jahrzehnt ist die Tätigkeit von Produktionshäusern für die Darstellende Kunst immer wichtiger geworden.
Interessant ist auch, dass das Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen mit mehreren Alumnis vertreten ist. Die Gruppe Rimini Protokoll gehört schon seit fünfzehn Jahren zu den wichtigsten Künstler*innen der international produzierenden Darstellenden Kunst. Ihre Arbeitsweise, die Recherche an gesellschaftlichen Themen gemeinsam mit sogenannten Expert*innen des Alltags, ist stilprägend für neue Generationen von Künstler*innen. Aber mit Alexander Giesche und seinem Projekt „Der Mensch erscheint im Holozän“ ist auch ein jüngerer Absolvent der ATW eingeladen. Und unter den Performer*innen bei Anta Helena Reckes „Die Kränkungen der Menschheit“ ist Joanna Tischkau, die mit ihrer eigenen Arbeit „playback“ gerade zur Tanzplaffform Deutschland, dem wichtigsten Festival der deutschsprachigen Tanzszene eingeladen wurde. Die ATW ist dort angekommen, womit sich einst rennomierte Ausbildungsinstitutionen schmückten. Es ist ein Symptom dafür, wie sich die Verhältnisse verändert haben. Für eine sich ständig weiterentwickelnde Darstellende Kunst ist eine Ausbildung, die ausschließlich in klassische Disziplinen wie Schauspieler*in, Regisseur*in oder Dramaturg*in trennt, nicht mehr zeitgemäß. Die ATW in Gießen versucht dagegen, die Darstellenden Künste und ihre Gewissheiten immer wieder neu auf die Probe zu stellen, um den Absolvent*innen zu ermöglichen, an einem Theater der Zukunft zu forschen.
Die Hessische Landesregierung hat die Potenziale erkannt und nun beschlossen, die Theaterszene im Bundesland besser zu fördern, sowohl öffentliche Bühnen, als auch freie Künstler*innen. Natürlich ist es wichtig, dass dieses Geld der gesamten Breite der Darstellenden Künste vom Land bis zur Stadt zugute kommt und man nicht nur auf vermeintliche „Leuchttürme“ schielt. Denn am Ende hängt alles zusammen, nur eine auf allen Ebenen gut finanzierte, diverse und vielseitige Szene kann dauerhaft herausragende Kunst hervorbringen. Bleibt zu wünschen, dass Festivals wie das Theatertreffen dauerhaft genau hinschauen, wie sich die Darstellende Kunst weiterentwickelt.
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Foto: Künstlerhaus Mousonturm © Jörg Baumann