Aktuelles Kulturpolitik

# lokales: Kulturkonzeption Kassel – Interview mit Kulturdezernentin Völkers

Im Februar wurde die sogenannte Kasseler „Kulturkonzeption“ veröffentlicht. Von Juli 2017 bis Juni 2018 wurde diese Konzeption erarbeitet. Anlass waren Überlegungen Kassels, sich als „Kulturhauptstadt Europas 2025“ zu bewerben. Obwohl dieses Ansinnen nicht weiterverfolgt wurde blieb der Prozess zur Kulturkonzeption bestehen. In einem partizipativen Prozess wurden mit Kulturakteurinnen und -akteuren vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Transformationsprozesse die Potenziale, Herausforderungen und Leitlinien zur Weiterentwicklung der Kultur in Kassel erarbeitet und dann in konkrete Ziele und Handlungsempfehlungen überführt. Für den Prozess hat die Stadt Kassel das Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. als externen Partner hinzugezogen. Seit 2017 leitet Susanne Völker das Dezernat IV für Kultur der Stadt Kassel. Wir haben mit ihr über die Situation der freien Szene in Kassel gesprochen

[laPROF] Frau Völker, die Stadtverordnetenversammlung in Kassel hat mit ihrem Beschluss der Kulturkonzeption und der damit verbundenen Haushaltsposten eine Erhöhung der lokalen Kulturförderung bewerkstelligt. Inwieweit wurde dabei die freie Szene berücksichtigt?

[Susanne Völker] Tatsächlich ist die Stärkung der Freien Szenen bei gleichzeitiger Bewahrung der hohen Qualität der institutionellen Kultur eines der vorrangigen Ziele, das uns sowohl in der Erarbeitung der Kulturkonzeption als auch in der Phase ihrer Umsetzung leitet. Bereits in 2019 ist es uns gelungen, zahlreiche Kulturproduzentinnen und -produzenten nachhaltig zu unterstützen, indem sie erstmals in institutionellen Förderstrukturen berücksichtigt oder die bestehende Förderung erhöht werden konnte. Die Gesamtsumme der Neuförderungen bzw. Erhöhung von bestehenden Förderungen im Haushalt 2019 im Vergleich zu 2018 beläuft sich auf ca. eine halbe Million Euro. Diese Förderungen sind vornehmlich im Bereich der infrastrukturellen und institutionellen Stärkung der Freien Szenen und Freien Träger, wie z.B. der Literatur-, freien Kino- und Film-, der Musikszene sowie der Bildende Kunst, angesiedelt und dienen beispielsweise der Unterstützung der Akteure bei laufenden Betriebs- und Programmkosten sowie bei notwendigen Maßnahmen. In Zusammenarbeit mit den Fraktionen hat das Kulturdezernat zudem zwei neue Projektfördertöpfe eingerichtet: „Stadt(teil)arbeit und Teilhabe“ und „Kulturelle Bildung und transkulturelle Öffnung und Teilhabe“, für die eine Antragstellung noch in diesem Jahr möglich ist. Darüber hinaus werden die Kulturproduzentinnen und -produzenten zukünftig auch durch zusätzliche Beratungs- und Informationsangebote im Bereich der Fördermittelakquise auf Bundes-, Landes- und auf europäischer Ebene unterstützt. Hierfür wird zum Sommer eine Projektstelle besetzt.

[laPROF] Die freie Tanz- und Theaterszene hat sich stark verändert. Eine Gruppe wie Flinntheater, jetzt Flinn Works, koproduziert überregional und international und wird zu großen Festivals eingeladen. Es gibt eine lebendige und stark vernetzte Tanzszene. Doch die Fördermittel aus Kassel sind immer noch sehr gering. Planen Sie, daran etwas zu ändern?

[Susanne Völker] Im Rahmen der bereits angesprochenen Kulturkonzeption wurde eine unabhängige Analyse der städtischen Kulturförderung erarbeitet, die Kassel ein „ausgeglichenes Fördertableau“ bescheinigt. Dabei ist aber unstrittig, dass die in der Gesamtheit zur Verfügung stehenden Kulturfördermittel den Bedürfnissen aller Kulturakteure fortlaufend angepasst werden müssen. Hier können rein städtische Mittel in ihrer natürlichen Begrenztheit nicht ausreichen. Genau aus diesem Grund forcieren wir die Möglichkeiten für lokale Akteure und Institutionen, Fördermittel auf Landes, Bundes und EU-Ebene zu akquirieren: ab Sommer dieses Jahres werden wir zu diesem Zweck eine neue Stelle im Kulturamt einrichten, welche die Erschließung dieser Fördermöglichkeiten unterstützend begleiten wird. Davon unabhängig streben wir in den kommenden Haushalten eine spürbare Förderung der freien Tanz- und Theaterszene an.

[laPROF] Was planen Sie genau für die freie Tanz- und Theaterszene? Inwieweit werden die Akteur*innen in die Planungen einbezogen?

[Susanne Völker] Es besteht ein kontinuierlicher und regelmäßiger Austausch mit den Vertreterinnen und Vertretern der freien Tanz- und Theaterszene. Gerade im Rahmen der Entwicklung der Kulturkonzeption ist hierfür durch den partizipativen Prozess eine gute Grundlage geschaffen worden. Dies ist die Basis, auf der wir nun gemeinsam ausloten, welche Möglichkeiten es kurz- mittel- und langfristig gibt, um die Rahmenbedingungen für diese Kultursparte durch Förderung, neue räumliche Angebote und Vernetzung zu verbessern.

[laPROF] Halten sie die Situation der Spielstätten und Arbeitsräume für ausreichend?

[Susanne Völker] Eine der großen Herausforderungen, derer wir uns annehmen müssen, ist die Bereitstellung von mehr bezahlbaren und adäquaten Räume für die Kulturproduzentinnen und Produzenten. Aber auch hier sind wir bereits ein Stück Weg gegangen: Der Um- und Ausbau des Palais Bellevue zur Förderung von Literatur- und Musik-Initiativen, die Entwicklung des Agathofbunkers zu einem Proben- und Musikzentrum in Bettenhausen sowie die weiterführende Unterstützung des Kulturzentrums Schlachthof als soziokulturellem Zentrum im Kasseler Norden sind wichtige Beispiele, wie aktuell an der Verbesserung der Rahmenbedingungen gearbeitet wird. Gleichzeitig führen wir intensive Gespräche zur kulturellen Nutzung weiterer Immobilien.

[laPROF] Wie sehen Sie die Zukunft der freien Tanz- und Theaterszene? Welche Schritte wollen Sie unternehmen um sie weiterzuentwickeln?

[Susanne Völker] Die freie Tanz- und Theaterszene ist ein wichtiger Impulsgeber für die Kasseler Kultur und wird weiterhin im Rahmen unserer kommunalen Fördermöglichkeiten durch uns unterstützt werden. Ganz sicher ist der „Tanzpakt“ eine gute Plattform für die nachhaltige Stärkung der lokalen Tanzszene. Es ist sicherlich eine lohnende Perspektive, hier auch in den kommenden Jahren eine Förderung durch Stadt, Land und Bund anzustreben. Mit Blick auf die freien Theater in Kassel möchte ich auf die Aufführungsreihe „SPOT An!“ des Aktionstheaters Kassel hinweisen, die auf Vermittlung des Kulturdezernats für einen Monat in der documenta Halle gastiert – auch das ein Novum in unserer Stadt und ein Beispiel für die nicht-monetäre Unterstützung der Freien Szenen. Mit Blick auf die Zukunft werden wir gemeinsam mit den Akteuren der freien Tanz- und Theaterszene daran arbeiten, die infrastrukturellen und finanziellen Rahmenbedingungen für ihre Arbeit angemessener zu gestalten.

[laPROF] Die Fördermittel für die freien Darstellenden Künste im Land Hessen sind im Vergleich zu anderen Bundesländern eher marginal. Sind sie zufrieden mit den Fördersummen aus dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst für darstellende Künstler*innen aus Kassel? Erwarten Sie von der neuen Landesregierung, dass sie die Fördertöpfe erhöht?

[Susanne Völker] Im Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung heißt es: „Die reiche hessische Theaterszene in allen ihren Facetten schafft eine hohe Vielfalt und Professionalität im ehrenamtlichen und hauptamtlichen Bereich. Für alle drei hessischen Staatstheater stehen in den kommenden Jahren erhebliche Sanierungs- und Umbaumaßnahmen an, die wir gemeinsam mit den Sitzstädten realisieren wollen. Die Mittel für die freie Theaterszene, und dort insbesondere für Festivals, wollen wir erhöhen. […] Die vielfältige Festspielszene in Hessen werden wir weiter unterstützen. Die Kooperation von Schulen und Theater für das Fach „Darstellendes Spiel“ werden wir ausbauen.“ Auch vor dem Hintergrund der bisherigen Gespräche und der Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit dem Land in den zurückliegenden Jahren lässt das auf eine weiterhin gute Entwicklung hoffen.

[laPROF] In 2019 finden in Kassel die hessischen Theatertage statt, wobei Highlights der Freien Szene und der öffentlichen Bühnen zu sehen sein werden. Wie wichtig ist für Sie die Kooperation zwischen freien darstellenden Künsten und den öffentlichen Bühnen?

[Susanne Völker] Das kooperative und partnerschaftliche Arbeiten der Vertreterinnen und Vertreter der freien darstellenden Künste und den etablierten Bühnen ist für die Zukunftsfähigkeit aller Beteiligter wichtig. Die freien Theater bekommen so Zugang zu größeren und besser ausgestatteten Spielstätten und einem neuen Publikum während die etablierten Institutionen von der Öffnung durch neue konzeptionelle Ansätze und einem anderen Publikum profitieren. Im Zuge der Kulturkonzeption ist hier immer wieder vom Konzept des „Dritten Raums“ die Rede, also er bewussten Öffnung etablierter Räume für eine andere, kulturelle Nutzung. In dieser Hinsicht passiert in Kassel, gerade mit Blick auf das Staatstheater, schon viel. Dieser Weg kann und muss weiter beschritten werden.

[laPROF] Derzeit beginnt die Suche nach einer Nachfolge für den Intendanten des Staatstheaters Kassel, Thomas Bockelmann, dessen Vertrag 2021 ausläuft. Wieviel Einfluss hat Kassel auf die Besetzung? Wollen Sie dort zukünftig eine Zusammenarbeit zwischen Künstler*innen aus den Freien Darstellenden Künsten und dem Staatstheater?

[Susanne Völker] Der Auswahlprozess für eine Nachfolge des jetzigen Staatstheater Intendanten Thomas Bockelmann erfolgt gemeinsam zwischen der Stadt Kassel und dem Land Hessen. Ich glaube, dass die Zusammenarbeit zwischen dem Staatstheater und den freien Bühnen in Kassel bereits in gemeinsamen Projekten einen guten Anfang genommen hat und diese Kooperation auch zukünftig verstetigt werden wird.

[laPROF] Das Land versucht gerade mit einem Masterplan Kultur die Potenziale und Mängel der hessischen Kultur zu ermitteln um dann über eine zukünftige Entwicklung zu sprechen. Halten Sie einen solchen Prozess auch im Interesse von Kassel für sinnvoll?

[Susanne Völker] Wir haben mit einer solchen genauen Betrachtung der grundlegenden Parameter, die auf die Kulturproduktion vor Ort einwirken, sehr gute Erfahrungen gemacht. Denn tatsächlich beinhaltet die gerade vorgestellte Kulturkonzeption eine solche Standortanalyse unter Einbeziehung der verschiedenen Aspekte, die den Kulturstandort Kassel ausmachen. So konnten wir beispielsweise ermittelt, welche Kultursparten hier in Kassel besonders sichtbar sind und welche Bereiche der regionalen Kulturszene auf mehr öffentliche Aufmerksamkeit angewiesen sind. Durch die zusätzlich durchgeführte Netzwerkanalyse sowie eine Analyse zur Kulturförderung können wir Stärken und Defizite objektiv benennen und haben dadurch einen guten Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung der kommunalen Kultur.

[laPROF] Wie ist der Kontakt zwischen lokaler freier Szene und Politik? Gibt es regelmäßigen Austausch?

[Susanne Völker] Der Kontakt zwischen den lokalen Kulturakteuren und der Stadt Kassel ist vor allem durch den partizipativ gestalteten Prozess der Kulturkonzeption in einer respektvollem und offenen Weise etabliert worden. Aktuell erarbeiten wir gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der Freie Szenen ein Konzept für die Institutionalisierung dieses Austauschs. Damit soll der Dialog über die Ziele und Maßnahmen der kulturellen Weiterentwicklung Kassels mit den Akteurinnen und Akteuren der Freien Szenen verstetigt und in seiner positiven Wirkung für Kassel nutzbar gemacht werden.

[laPROF] Schaffen Sie es gelegentlich ins Theater zu gehen? Welche Produktion der freien Tanz- und Theaterschaffenden Kassels haben Sie zuletzt gesehen?

[Susanne Völker] Ja, ich gehe regelmäßig und gern ins Theater. Unlängst habe ich im Rahmen der bereits erwähnten Aufführungsreihe „SPOT an!“ in der documenta Halle die szenische Inszenierung „Ich, Kurt Schwitters“ des Aktionstheaters Kassel gesehen.

Alles zur Kulturkozeption Kassel findet man hier

Foto: Kulturamt Kassel

Autor

Jan Deck ist Politikwissenschaftler, lebt in Frankfurt/Main und arbeitet als freier Dramaturg, Regisseur und Kurator. Seit über zehn Jahren arbeitet er für den hessischen Landesverband laPROF, seine Schwerpunkte sind Lobbyarbeit, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie Veranstaltungen. Er ist Mitglied verschiedener Juries und Beiräte, kuratiert Tagungen, Festivals und Labore. Als Herausgeber und Autor beschäftigt er sich mit verschiedenen Aspekten von Kunst und Gesellschaft.